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Lachmöwe Larus ridibundus


Frage: lacht sie, oder ist sie nach der Wasser-

lache benannt?


Eingehend auf die Argumente für beide

Erklärungsmöglichkeiten wird diese Frage in

kurzer Beweisführung in der Zeitschrift

VÖGEL, 2010, Heft 2, im Rahmen

der 2. Folge zu den Vogelnamen beantwortet.

Der nachfolgende ausführlichere Artikel geht

auf die Literaturbelege genauer ein.


Zunächst einmal ist auffällig, dass der deutsche und der lateinische bzw. wissenschaftliche Name inhaltlich gleich sind. In einem solchen Fall ist es durchaus möglich, dass beide Namen unabhängig voneinander entstanden sind; es ist aber auch möglich, dass einer der beiden Namen eine Übersetzung des anderen ist.

Letzteres trifft insbesondere dann zu, wenn die betreffenden Arten in Deutschland bis zum Zeitpunkt der Namengebung nicht bzw. nur wenig bekannt waren, oder aber wenn es sich um Arten handelt, die man bis dahin nicht präzise von ähnlichen Arten unterschieden hat. In solchen Fällen wurde des Öfteren der lateinische Name einfach übersetzt.

Beispiele für solche „übersetzten Vogelnamen“ : Rallenreiher, Kurzschnabelgans, Brillenente, Dünnschnabelbrachvogel, aber auch die Schwarzkopfmöwe, Dreizehenmöwe und Elfenbeinmöwe dürften so zu erklären sein.


Bei der Lachmöwe als einem allgemein bekannten Vogel sollte man zunächst annehmen, dass es sich um einen deutschen Namen handelt, der völlig unabhängig von den wissenschaftlichen Namen entstanden ist.

Tatsächlich aber taucht dieser Name zum ersten Mal in der deutschen Fassung von Linnés System der Natur auf, die von Philipp Ludwig Statius Müller verfasst wurde (1). Er übersetzt Larus ridibundus aus der 12. Auflage der Systema naturae wortgetreu mit Lachmöwe.


Bei Gesner heißt es in der deutschen Ausgabe von 1669, dass es drei verschiedene Geschlechter von Möwen (Larus) gebe, für die aber keine eigenen Namen angegeben werden, sondern die alle unter die Worte Meb oder Holbrot fallen (2).


Bei Baldner (1666) : Gemeine Seemähben. (3)


Im Werk von Suolathi wird bis ins 18. Jahrhundert hinein kein einziges Mal der Name Lachmöwe erwähnt (4).


Im Prodromus von Jacob Theodor Klein (1750) findet sich als deutsche Bezeichnung der Ausdruck „Roth-Schnabel mit schwarzem Kopf“. (5)


Weitere Beispiele finden sich bei Mörike (6).


Es ist also ganz eindeutig, dass es sich beim Namen Lachmöwe nicht um einen originär deutschen Vogelnamen handelt, sondern um eine Übersetzung aus Linné. – Also ergibt sich die Bedeutung des Namens aus dem, was Linné damit gemeint hat. Das ist ebenfalls völlig eindeutig, da Linné den Namen ausdrücklich mit folgendem Satz begründet:


Voce cachinnos aemulatur. (Sie ahmt durch die Stimme die lauten Gelächter nach.)  (7) – Dieser Satz von Linné ist insofern bemerkenswert, weil Linné normalerweise keine Angaben über die Begründung der Namenswahl macht.


Diese Feststellungen bezüglich der Herleitung des Namens „Lachmöwe“ decken sich völlig mit dem, was Mörike in dem zitierten Band des Journals für Ornithologie ausführt.


Aus Linnés Literaturangaben zu dieser Art geht hervor, dass er den Speziesnamen von Brisson übernommen hat. Genauer gesagt: Brisson beschreibt zwei sehr ähnliche Möwen, von denen er die eine Gavia ridibunda nennt, die andere Gavia ridibunda phaenicopos, was dem Sinn nach bedeutet „Lachmöwe mit rotem Fuß“. Die zuerst genannte heißt bei Linné Larus Atricilla, die letztere Larus ridibundus.


Weder Brisson – noch später P.L.S. Müller – hatten diesbezüglich eine klare Vorstellung von zwei Arten, wie sie heute als Aztekenmöwe und Lachmöwe unterschieden werden. Den Begriff „Unterart“ gab es damals noch nicht, aber es waren für Brisson der Sache nach Varianten oder „Unterarten“ einer Möwenspezies. Dabei betrachtete er diejenige, die schwarze Beine hat, nicht als eine erst von Catesby entdeckte amerikanische Art, sondern als eine Art, die auch vorher schon von verschiedenen Autoren unter verschiedenen Namen aufgeführt worden sei. (8)


Die weiteren Einzelheiten, wie dieser Name von Catesby über Brisson zu Linné kam, sind bei Mörike und vor allem in der Ergänzung von Stresemann (9) in geradezu brillanter Beweisführung dargestellt.

D.h. mit der laughing gull war ursprünglich – jedenfalls bei Catesby – diejenige Art gemeint, die wir heute als Aztekenmöwe bezeichnen.


Daraus folgt aber nicht, dass der heutige deutsche Name der Lachmöwe unzutreffend bzw. „falsch“ sei, und eigentlich nur auf einem Irrtum beruhe.


Diese These stützt sich auf zwei Argumente:


1 ) Mit „Lachen“ war von vorn herein nicht die Klangfarbe des herzhaften Lachens gemeint, sondern die Klangfarbe des spöttischen Auslachens. Das ergibt sich bei P.L.S. Müller aus dem Namen „Spötter“. Mit diesem Namen bezeichnet er die bei Linné genannte Larus atricilla. Aber da Müller der Lachmöwe als einer Variante des Spötters den Art-Status abspricht, weil sie sich nur durch die Beinfarbe von jenem unterscheide (10), ist der Name „Spötter“ praktisch ein Oberbegriff für beide, so wie der Name „Larus ridibundus“ bei Brisson ebenfalls als Oberbegriff für beide Möwen mit dem schwarzen Kopf fungiert.


2 ) Die deutschen Ornithologen zu Ende des 18. Und zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die sich ausführlich mit der Stimme dieser Möwe beschäftigt hatten, fanden den Namen Lachmöwe für diese spöttischen Laute durchaus treffend. Dazu zwei Belege:

Bechstein schreibt im Jahre 1791 über die „Schwarzköpfige Lachmeve“ : „Ihr Geschrei ist dem heiseren Lachen ähnlich, mit welchem sie sich einander immer unterhalten.“ (11).


J.F. Naumann verwendet eine ganze Seite darauf, die verschiedenen Stimmäußerungen der Lachmöwe widerzugeben. Zu den Lauten Käck oder Chäck heißt es. „Dieses aus verschiedenen Kehlen und durch besondere Anlässe verschiedentlich moduliert, bei Betrachtung etwas Verdächtigem auch wol in Käckäckäk verwandelt, hat von mehreren durcheinander Aehnlichkeit mit einem heiseren Gelächter und sie zu dem Namen ‚Lachmeve‘ verholfen.“ (12)


Viele Vogelfreunde stoßen sich an dem Namen der Lachmöwe, weil ihre Rufe tatsächlich nichts mit dem Lachen im Sinn des herzhaften menschlichen Lachens gemein haben. Aber auch die Stimmen der Lachseeschwalbe und der Lachtaube erinnern eher an heiseres oder spöttisches Gelächter, und die Lachseeschwalbe ist gewiss nicht nach der Wasserlache benannt.


Hinzu kommt noch ein rein sprachliches Argument, das den Zusammenhang zur Wasserlache zumindest sehr unwahrscheinlich macht. Manche Sprachwissenschaftler weisen darauf hin, dass das deutsche Wort der (Wasser-)Lache einen ganz anderen Ursprung hat als das englische Wort lake. Während sich dieses aus den romanischen Sprachen herleitet: frz. lac, ital. lago, lat. lacus; geht das deutsche Wort der Lache auf das mittelhochdeutsche Verb lechen zurück, was soviel bedeutet wie „austrocknen.“ (13) – Die Wasserlache ist kein konstantes Gewässer, sondern eine vorübergehende Erscheinung nach einem Regen oder nach einem Hochwasser, und trocknet wieder aus. Als Begriff für einen bestimmten Biotop wie See, Teich, Tümpel, Sumpf, Fluss oder Ufer wurde die Lache nicht verwendet.




ANMERKUNGEN


1 ) Müller, Philipp Ludwig Statius, Des Ritters Carl von Linné vollständiges Natursystem, Bd. 2, Nürnberg, 1773, S. 348f.


2 ) Gesner, Conrad, Vogelbuch, Nachdruck der Ausgabe von 1669, Hannover 1981, Teil 1, S. 342. – Allerdings werden die Seeschwalben später z.T. auch unter dem Namen Larus geführt.


3) Baldner, Leonhard, Vogel-, Fisch- und Thierbuch (Manuskript, Straßburg,1666), als Faksimile-Druck: Stuttgart 1973 / 74, Bd.1, Tafel 66 und Kommentarheft S. 21 f.


4) Suolahti, Hugo, Die deutschen Vogelnamen. Eine wortgeschichtliche Untersuchung, 1. Aufl. 1909, Nachdruck: Berlin, 2000, S. 400 – 403.


5 ) Klein, Jacob Theodor, Historiae avium prodromus, Lübeck, 1750, S. 139.


6) Mörike, Klaus, Deutung und Herkunft des Namens der Lachmöwe, Journal für Ornithologie, Bd. 112, 1971, S. 317 – 322.


7 ) Linné, Systema naturae, 12.Aufl., Bd. 1, Stockholm, 1766, S. 225.


8 ) Brisson, M.J., Ornithologia, Bd. 6, Paris, 1760, S. 192 – 198.


9) Stresemann, Erwin, Weiteres zum Thema „Die Herkunft des Namens der Lachmöwe“, Journal für Ornithologie, Bd. 113, 1972, S. 106 – 108.


10 ) „In der That ein gar zu kleiner Unterschied, um sie zur besonderen Art zu machen.“ Müller, a.a.O. – Nach Müllers Angaben lebt die Möwe namens Spötter sowohl in Europa als auch in Amerika.


11 ) Bechstein, Johann Matthaeus, Gemeinnützige Naturgeschichte Deutschlands, Bd. 2, Leipzig, 1791, S. 820.


12 ) Naumann, Johann Friedrich, Naturgeschichte der Vögel Deutschlands, Bd. 10, Leipzig, 1840, S. 284 f.


13) Grimm, Jacob u. Wilhelm, Deutsches Wörterbuch, Leipzig, 1854 ff, Nachdruck München, 1984, Bd.12, S. 13, lehnen einen Zusammenhang zu lat. lacus völlig ab. -

Pfeifer, Wolfgang, Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, 2. Aufl., Berlin 1993, Bd.1, S.756, sieht in erster Linie den Zusammenhang zum Mittelhochdeutschen, und hält den Zusammenhang zum Lateinischen für unwahrscheinlich. – Nach Kluge, Friedrich, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 24. Aufl., Berlin, 2002, S. 552, spricht auch mehr für die Herleitung aus dem Mittelhochdeutschen, er schließt aber eine Urverwandtschaft mit dem Lateinischen nicht aus.

Foto: Viktor Wember